Wenn bei einem grossen Teil der Bevölkerung die erworbene Immunität mit einem Gedächtnis gegen ein bestimmtes Virus (zum Beispiel SARS-CoV-2) ausgestattet ist und diese Personen somit immun gegen die Krankheit sind, sollte es theoretisch möglich sein, das Virus zum Verschwinden zu bringen! Dies wird als kollektive Immunität oder Herdenimmunität bezeichnet.
In der Praxis sieht es jedoch so aus, dass die Herdenimmunität in vielen Fällen nicht absolut ist. Je nachdem, wie ansteckend das Virus ist, muss ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung immun sein, damit man von kollektiver Immunität sprechen kann. Diese Schwelle ist dann erreicht, wenn die Reproduktionsrate R des Virus unter 1 liegt, eine kranke Person also im Schnitt weniger als eine andere Person infiziert.
Bei SARS-CoV-2 wird geschätzt, dass 80% der Bevölkerung immun sein müssten, um Herdenimmunität zu erreichen. Bei Masern, einem sehr ansteckenden Virus, das dank der Impfung vielerorts in Europa fast verschwunden ist, liegt die Schätzung bei 95%. Doch selbst wenn unter solchen Kriterien eine Herdenimmunität erreicht wäre, bedeutet dies nicht, dass eine Krankheit völlig aus der Bevölkerung verschwunden ist. Viren, die durch Mutationen der Immunantwort entgehen, und Erreger, die auch von Personen ohne Krankheitssymptome weitergegeben werden, können die Schätzungen und Berechnungen stark durcheinanderbringen. Einige Viren, die uns krank machen, infizieren ausserdem auch Tiere (Zoonosen); sie können nicht ausgerottet werden, ohne auch das Tierreservoir immun zu machen. Dennoch ist es eine der wichtigsten Strategien bei der Bekämpfung einer Epidemie, auf eine möglichst starke Herdenimmunität hinzuarbeiten.
Einige berühmte Beispiele
Die Pocken, ein altes und sehr gefährliches Virus, wurden dank einer weltweiten Impfkampagne ausgerottet. In diesem Fall konnte die Herdenimmunität durch Impfstoffe erreicht werden.
Bei der Grippe (H1N1-Virus) ist die kollektive Immunität derzeit nicht erreichbar: Das Virus mutiert nämlich ständig, und weder die natürliche Immunantwort der Menschen noch die regelmässig aktualisierten Impfstoffe bieten einen vollständigen Schutz. Jeden Winter kehrt das Virus in einer anderen Form zurück und verursacht neue Epidemien.
Bei SARS-CoV-2 sind noch nicht alle Zusammenhänge verstanden. Impfstoffe machen uns aus noch nicht restlos geklärten Gründen nicht vollständig immun dagegen. Nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 oder einer Impfung führt die nächste Infektion jedoch in der Regel zu einer weniger schweren Form der Erkrankung. So könnte sich die „Pandemie“ zu einer „Endemie“ wandeln, bei der sich das Virus vielerorts in der Bevölkerung etabliert hat. Die Mehrheit der Menschen entwickelt keine schweren Krankheitsverläufe mehr, da sie eine gewisse Immunität erworben haben. Das verhindert zwar nicht, dass das Virus zirkuliert, aber es führt dazu, dass die durch COVID verursachte Sterblichkeit drastisch reduziert wird. Eine insgesamt kleinere Zahl von Infizierten mit hoher Virenlast bedeutet auch, dass sich die Mutationsgeschwindigkeit des Virus verringern sollte – doch Voraussagen in diesem Bereich sind immer mit grossen Unsicherheiten behaftet.