Erde & Umwelt

Eisbohrkerne: Zeugnisse von 1.2 Mio. Jahren Klimageschichte

Eisbohrkerne

Eisbohrkerne im National Ice Core Lab in Denver (USA). Bild: Wikimedia Commons

2’800 m lang ist die Eissäule, die ein Forscherteam am kältesten Ort der Erde in mehrjähriger Arbeit senkrecht aus dem Eis gebohrt hat! Das Bohrcamp steht mitten auf dem antarktischen Plateau, und im Januar 2025 war es so weit: Der bisher längste Eisbohrkern überhaupt wurde in speziell konstruierte Kühlcontainer verladen. Die Technologie zur Analyse des Eises wurde von der Universität Bern mitentwickelt. Aber was versprechen sich die Forscherinnen und Forscher von diesen Untersuchungen eigentlich?

Eisbohrung in Grönland

Eisbohrung in Grönland. Bild: Helle Astrid Kjær/Wikimedia Commons, CC BY 4.0

Kurz gesagt: Das Eis der Polkappen ist eine Bibliothek von Informationen über das frühere Klima der Erde. Die Veränderungen des Klimas in den letzten Jahrzehnten können mit direkten Messungen dokumentiert werden. Innerhalb eines Menschenlebens sind Gletscher geschrumpft, es gibt öfter sehr heisse Sommer, und in den Nachrichten erfahren wir von extremen Wetterereignissen, die früher seltener waren. Doch stellt sich die Frage, was wir mit „früher“ meinen: Gab es vielleicht einmal eine Zeit, in der das Klima ähnlich war wie heute? Oder erleben wir wirklich gerade einen Ausnahmezustand, den wir Menschen verursacht haben? Dies sind Fragen, mit denen sich die Paläoklimaforschung beschäftigt. Das Eis der Arktis und Antarktis liefert hierzu wertvolle Daten.

Wetter ist nicht gleich Klima

Über die ganze Erde verteilt gibt es zahlreiche Wetterstationen. Sie messen täglich diverse Kennwerte wie die Lufttemperatur, den atmosphärische Druck, die Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit sowie den Niederschlag. Diese Messungen werden ausgewertet, so dass man Wetterberichte erstellen kann. Man nennt dieses Fachgebiet Meteorologie; es geht dabei um den kurzzeitigen Zustand der Atmosphäre an einem gegebenen Ort zu einer gegebenen Zeit. Meteorologische Daten werden aber auch über Jahrzehnte hinweg gesammelt und statistisch ausgewertet. Dann erhält man einen Gesamteindruck der globalen Zustände der Atmosphäre, und man spricht von Klimaforschung. Die sogenannte Paläoklimaforschung interessiert sich für die Entwicklung des Klimas im Verlaufe von Tausenden bis Millionen von Jahren.

Im Eis erstarrte Klima-Archive

Eisbohrkern

Ein frisch geschnittener Eisbohrkern aus der Bohrung EastGRIO in Grönland. Bild: Helle Astrid Kjær / Wikimedia Commons, CC-Lizenz

Zeugen vergangener Klimaperioden finden sich im Polareis. Die Polkappen bildeten sich aus Schneefällen, die sich über die Jahre hinweg ansammelten und zu Eis wurden. Im Verlauf ihrer Entstehung wurden Luftblasen, Sedimente, Steine und bestimmte radioaktive Substanzen im Eis eingeschlossen. All diese Partikel werden durch das Eis in intaktem Zustand konserviert; sie wiederspiegeln damit Charakteristiken der Atmosphäre und Umwelt ihrer Zeitepoche. Das Polareis enthält also zahlreiche Archive über das Klima der Vergangenheit!
Mit Hilfe ausgeklügelter Bohrtechniken können Glaziologen aus dem Eis, das Tausende von Metern dick ist, lange Säulen ausbohren; das sind die sogenannten Eisbohrkerne. Der Bohrkern, der im Januar 2025 geborgen wurde, enthält vermutlich Eis, das 1.2 Millionen Jahre alt ist – wenn nicht sogar noch älter!

 

Winziges Eisstück mit Gasbläschen

Ein kleines Stück uraltes, antarktisches Eis mit zahlreichen Luftblasen. Darin ist die Zusammensetzung der Atmosphäre früherer Zeiten konserviert. Bild: CSIRO/Wikimedia CommonsCC BY 3.0

Analysiert eine Forscherin den Eisbohrkern, erkennt sie bereits von Auge den Unterschied zwischen dunkleren Schichten, die den Sommern entsprechen, und helleren Schichten, die den Wintern entsprechen. Eisbohrkerne lassen uns eine jeweilige Zeitspanne also relativ präzise bestimmen. Je tiefer man jedoch in die Eisschichten vordringt, desto ungenauer wird die Zeitbestimmung, da die starke Absenkung des Eises die saisonalen Unterschiede verwässert. Die Bohrkerne aus der Antarktis werden in Stücken von etwa viereinhalb Metern aus der Tiefe geholt und dann längs zersägt. Eine Hälfte wird in einem Archiv in der Antarktis gelagert, die andere für Laboranalysen per Schiff nach Europa geschickt.

Lesen in der Eis-Bibliothek

Die Zusammensetzung des in den Eisproben eingeschlossenen Gases und Staubs sowie deren Konzentration geben Aufschluss über die Ursache ihrer Schwankungen in der Atmosphäre. Dabei handelt es sich um Sauerstoff-Isotope (siehe Highlight- Box „Das isotopische Thermometer“) oder die Treibhausgase Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4). Diese Informationen werden verglichen mit Modellen zum Meereszustand, Schwankungen der Sonnenaktivität und Vulkanausbrüchen einer gegebenen Zeitperiode.

Temperatur und Konzentration von Treibhausgasen hängen zusammen

Eine frühere Bohrung mit einer Tiefe von über 2600 Metern bei Vostok in der Antarktis ermöglichte den Zugang zu 420’000 Jahre altem Eis. Die Analysen dieses Bohrkerns zeigten, dass es über diese Zeit einen direkten Zusammenhang zwischen Temperaturschwankungen an der Erdoberfläche und der Konzentration von Kohlendioxid und Methan in der Atmosphäre gab. 

Die ältesten Werte sind in der Grafik rechts zu sehen, die neuere Zeit links. Dort sieht man auch, wie seit 1960 die Kohlenstoffdioxid-Konzentration (blau) aufgrund menschlicher Aktivitäten drastisch in die Höhe schiesst.

Grafik von Temperatur, Methan- und Kohlendioxidkonzentration über die Zeit

Analyse der Temperatur und Konzentration von Treibhausgasen. Die Konzentrationen in ppmv (Millionstel, abgek. für „Parts per Million by Volume“) und ppbv (Milliardstel oder „Parts per Billion by Volume“) sind relativ zum Volumen. Bild: J.-M Barnola

Regelmässige Zyklen – und ein Trend, der aus dem Rahmen fällt

Eisbohrkern von 1 m Länge

Ein Eisbohrkern von 1 m Länge (dies entspricht etwa 38 Jahren). Er stammt aus einer Tiefe von 1837 m und aus einer Zeit vor 16’250 Jahren, also vom Ende der letzten Eiszeit. Die erkennbaren Streifen entsprechen den aufeinanderfolgenden Sommern und Wintern. Auf dem vergrösserten Teil des Bildes sind eingeschlossene Gasblasen erkennbar. Bild abgeändert von Ice Core Laboratory/Wikimedia Commons

In den letzten Millionen von Jahren haben sich auf der Erde Warm- und Kaltzeiten in regelmässigen Zyklen abgewechselt. Vor etwa 1.5 Mio. Jahren hat sich die Zykluslänge von 40’000 Jahren auf 100’000 Jahre verlängert – man weiss aber nicht, warum. Mit Hilfe der im Eis enthaltenen Informationen versucht man zu verstehen, welche Mechanismen das Klima unserer Erde mitbestimmen und welche klimatischen Rahmenbedingungen für unseren Planeten also „normal“ sind.

Im Moment befinden wir uns in einer Warmzeit, und vor 6–8000 Jahren war es bereits schon einmal so warm wie heute. In der letzten Warmzeit vor 125'000 Jahren lag der Meeresspiegel sogar 9 m höher als jetzt! Doch der aktuelle Klimawandel übertrifft all diese früheren Veränderungen an Geschwindigkeit; das ist es, was den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Sorgen macht. Sie befürchten, dass viele Ökosysteme der Erde sich an diesen schnellen Wandel nicht anpassen können. Zudem besteht die Gefahr, dass manche Systeme von Winden und Meeresströmungen bei höherer Temperatur einen „Kipppunkt“ erreichen, der sie aus dem Gleichgewicht bringt – mit unvorhersehbaren Folgen für das Klima der kommenden Jahrhunderte und Jahrtausende.

Ein gefährdetes Gedächtnis

Wegen der aktuellen Klimaerwärmung schmilzt das Eis an Polkappen und Gletscher immer schneller. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Umwelt, den Menschen und die Wirtschaft, sondern bedroht auch das im Eis eingeschlossene Klimagedächtnis. Damit diese Archive erhalten bleiben, gibt es Bohr- und Lagerprogramme für eine weltweite Sammlung von Eisproben.

Das isotopische Thermometer

Wie können wir vergangene Temperaturen mithilfe der Eisbohrkerne bestimmen? Dazu analysiert man die im Eis enthaltenen Sauerstoff-Isotope. In der Natur kommt Sauerstoff zu 99.76% als Atom mit 8 Protonen und 8 Neutronen vor (16O). Ein kleiner Teil (0.2%) der Sauerstoff-Atomkerne hat aber 8 Protonen und 10 Neutronen, man nennt dieses Isotop 18O.  Das 18O-Isotop  ist schwerer und benötigt daher mehr Energie, um zu verdampfen, in den Niederschlagskreislauf zu gelangen und im Polareis eingeschlossen zu werden. Daraus schliesst man: Enthält Eis viel 18O, stammt es aus einer warmen Zeitperiode. Enthält es hingegen nur wenig 18O, stammt es aus einer kühleren Zeit.

Zuletzt geändert: 28.02.2025
Erstellt: 14.03.2018
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