Technik & Materialien

Robotertechnik bei der Natur abgeschaut

Eine neuartige Roboterhand

Dank Reibung braucht diese Roboterhand weniger Motorleistung und ist deshalb leichter als herkömmliche Prothesen. Bild: Universität Zürich

An der Universität Zürich lernen Robotiker von der Natur und finden dadurch einfache Lösungen für komplexe Ingenieursprobleme: Zum Beispiel für die Entwicklung von intelligenten Handprothesen.

Das „Artificial Intelligence Lab“ (AI Lab) der Universität Zürich muss für jeden passionierten Bastler ein Paradies sein. Auf den Schreibtischen und Werkbänken liegen Lötkolben und Schraubenzieher, Heissleimpistolen, Leichtbauholz, Mikrochips und Joysticks; am Boden Kisten voller farbiger Elektrokabel. „Wir bauen all unsere Roboter selbst, deshalb sieht das hier so chaotisch aus“, erklärt Konstantinos Dermitzakis, Doktorand am AI Lab. Neben den offensichtlich für den Roboterbau benötigten Materialien und Werkzeugen stehen im Labor auch einige eher ungewöhnliche Objekte, darunter ein grosses Aquarium und ein Menschenskelett aus Kunststoff.

„Unsere Forschung ist häufig von der Natur inspiriert“, erzählt Dermitzakis. Zum Beispiel beobachtete einer seiner Forschungskollegen Oktopusse. Anschliessend formte er aus Silikon einen Tentakel nach und goss darin zwölf winzige Sensoren ein. Mithilfe eines Computers konnte er nun deren Beweglichkeit detailliert analysieren. Das ist für die Robotiker deshalb von Interesse, weil der Oktopus ein Bewegungskünstler ist. Er kann seine Tentakel in praktisch jede Richtung verbiegen und hat damit eine schier unendliche Anzahl von Freiheitsgraden. Aus der Studie könnten einst Roboter hervorgehen, die sich im Wasser genau so elegant und mit geringem Kraftaufwand bewegen wie das natürliche Vorbild.

Mechanik anstelle von Programmierung

Viele der funktionellen Herausforderungen, mit denen Robotiker heute kämpfen, hat die Natur während jahrmillionenlanger Evolution bereits gelöst.

„Stumpy“ kann durch Hin- und Herschwenken einer vertikalen Stange auf relativ natürliche Art und Weise den Gang entlang trotten. Bild: Universität Zürich

Dermitzakis nimmt den Roboter eines Kollegen in die Hand. „Stumpy“ ist ein T-förmiges Konstrukt aus mehreren Alustangen, Stahlfedern, Plastikrädern, Nylonfäden und zwei kleinen Motoren. Durch Hin- und Herschwenken einer vertikalen Stange kann der Roboter auf relativ natürliche Art und Weise den Gang entlang trotten. Seine Glieder werden dabei passiv und rein mechanisch gesteuert. Zugfedern und Nylonfäden, die über kleine Räder laufen, imitieren menschliche Sehnen und Muskeln. Dadurch wird die Bewegung fliessend, der Gang dynamisch und menschlich.

„Stumpy“ steht stellvertretend für einen Paradigmenwechsel in der Robotik: Herkömmlich wurde jede einzelne Roboterbewegung von einem zentralen Computer aus gesteuert. Dafür sind jedoch grosse Mengen an Rechenleistung und viele Motoren nötig. „Wir wollten die Systeme deshalb radikal vereinfachen“, so Dermitzakis. Aus diesem Grund bringen er und seine Kollegen die Intelligenz in die Roboterglieder. Denn auch bei Menschen und Tieren wird nicht jeder Muskel und jede Sehne zentral vom Hirn gesteuert, sondern viele Bewegungen geschehen unbewusst und rein mechanisch. „Sonst hätten wir gar keine Kapazität mehr zum Denken“, sagt Dermitzakis lachend.

Leichtere Prothesen dank natürlicher Reibung

Dermitzakis selbst hat während der letzten vier Jahre an einem Handroboter gebaut, der dereinst bei Unterarm-Amputationen eingesetzt werden soll. „Die heutigen Prothesen kosten bis zu 50 000 Franken, sind schwer und können oft nicht viel“, erzählt der Forscher. Das wollte er ändern und begann, die menschliche Hand zu studieren. Er besorgte sich in der Uniklinik eigens einen menschlichen Finger zum Sezieren und besseren Verständnis der Funktionalität und bemerkte: In unseren Fingern gibt es winzige Kanäle, durch welche die Sehnen gleiten. Die dadurch erzeugte Reibung hilft uns die Hand mit weniger Energieaufwand geschlossen zu halten. Dermitzakis übertrug dieses Prinzip auf eine aus Kunststoff gefertigte Roboterhand, deren Finger mit künstlichen Sehnen und einem Motor bewegt werden. Dank der Neuerung braucht sie zum Greifen weniger Motorleistung und ist deshalb leichter als herkömmliche Prothesen.

Eine weitere Neuerung betrifft die Steuerung: Bislang steuerten Patienten ihre Prothese über Impulse in den verbleibenden Muskelfasern des Oberarms. Das ist aufwendig, unzuverlässig und führte bei Protheseträgern oft zu Frust. Dermitzakis' Roboterhand wird über Bewegungen mit dem verbleibenden Armstumpf gesteuert: Wer ein Glas Wasser greifen will, winkelt beispielsweise den Oberarm leicht an, was der Prothese den Impuls zum Griff gibt. Dermitzakis hat das im Labor bereits mit 22 Handbewegungen getestet, die mit 98 Prozent Zuverlässigkeit ausgeführt wurden. In Zukunft soll ein Feedback-Mechanismus hinzukommen, damit der Träger fühlen kann, was er greift. Bis es soweit ist, wird Dermitzakis aber noch viele Stunden an seiner Prothese „basteln“ und dabei immer wieder auf das Vorbild Mutter Natur schielen.

Erstellt: 09.05.2014
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