Zellen & Moleküle

Organoide: Mini-Organe aus dem Labor

Auf dem Labortisch: Hand in blauem Gummihandschuh öffnet eine Zellkulturschale, in die aus einer Pipette Medium getropft wird

Eine Forscherin beim „Füttern” der Zellen in keimfreier Umgebung. Bild: CanStockPhoto

Von Auge sind es nur kleine Klümpchen in einer Nährflüssigkeit, tatsächlich bestehen sie aber aus einem komplexen System von spezialisierten, selbst-organisierten Zellen: Organoide spielen eine immer wichtigere Rolle in der medizinischen Forschung.

Was sind Organoide?

Das Wort „Organoid“ leitet sich aus den beiden griechischen Wörtern für „Organ“ und „Gestalt“ ab, ist also die Bezeichnung für etwas „Organförmiges“. Und genau das meint man damit auch: Organoide sind Zellklumpen, die man im Labor hauptsächlich aus Stamm- oder anderen Zellen züchtet. Sie entwickeln selbstständig unterschiedliche organspezifische Zelltypen und können so Strukturen und Funktionen eines echten Organs widerspiegeln. Je nachdem, welche Art von Organoid heranwächst, kann es eine Grösse von einem Salzkorn bis hin zu einigen Millimetern erreichen. Mini-Organe sind natürlich keineswegs echte, vollständige Organe; dennoch bieten sie Forschern eine sehr gute Möglichkeit, die Organentwicklung oder verschiedene Krankheiten ausserhalb des Menschen im Labor zu erforschen. 

Woraus entstehen Organoide?

Mittels Biopsie wird einem Tier oder einer Person eine Gewebeprobe entnommen. Das können ein Stück Haut, ein paar Milliliter Blut oder ein kleines Stück eines anderen Gewebes sein. Wichtig ist, dass die gewonnenen Zellen lebendig sind.

Mit einem speziellen Mix aus verschiedenen Signalmolekülen können die Forscherinnen und Forscher im Labor nun den Zellen mitteilen, dass sie sich in ein ganz besonders vielseitiges Entwicklungsstadium, das pluripotente Stammzellstadium, begeben sollen. Diesen Vorgang nennt man Reprogrammierung, und die daraus resultierenden Zellen nennt man induzierte pluripotente Stammzellen. In diesem Stammzellstadium verlieren die ehemaligen Haut- oder Blutzellen ihre Spezifität, gewinnen dafür aber die Fähigkeit, sich zu fast jeder erdenklichen Zellart des Körpers zu entwickeln. Nicht nur induzierte Stammzellen, auch embryonale Stammzellen sind pluripotent. Diese Eigenschaft nutzt man, um die Zellen so umzuprogrammieren, dass sie sich zum gewünschten Zelltyp eines bestimmten Organs entwickeln.

Mehr über die verschiedenen Typen von Stammzellen liest du im Artikel Stammzellen.

Was passiert im Labor?

Kultur von Organoiden in einer Multi-Well-Platte
Zellkulturschale mit Organoiden

Wenige Wochen alte Gehirn-Organoide, von Auge sichtbar als kleine Zellklumpen im Nährmedium. Bilder: Marion Horrer

Über Tage und Wochen werden die pluripotenten Stammzellen mit einem speziellen Nährmedium mehrmals wöchentlich „gefüttert“. Dieses Nährmedium enthält Nährstoffe wie Zucker, Fette, Proteine, Vitamine und Salze – also Nährstoffe, die wir Menschen dem Körper auch täglich mit der Nahrung zuführen. Zudem wird ein Mix aus speziellen Wachstumsfaktoren in das Nährmedium gemischt, die spezifisch für die Entwicklung zu einer bestimmten Zellgruppe sind. Beispielsweise kann eine Umgebung simuliert werden, wie sie bei der Entwicklung des Gehirns vorherrscht. Dann ändern die Stammzellen ihre Programmierung und differenzieren sich zuerst in unreife Vorläuferzellen, nach mehreren Wochen schliesslich in verschiedene Zelltypen des Nervensystems. Nur wenn die richtigen Signalmoleküle zum richtigen Zeitpunkt zugegeben werden, können Neuronen, Astroyzten, Oligodendroyzten und weitere Gehirnzellen entstehen, und es bildet sich eine gehirnähnliche Struktur im Organoid. Damit sich die Organoide wie innerhalb eines Körpers fühlen, werden sie bei Körpertemperatur (also 37 °C) gehalten. Aus anfänglich ein paar Tausend Stammzellen ist nun ein Mini-Gehirn, ein Gehirn-Organoid entstanden.

Da die menschliche Gehirnentwicklung bis ins Erwachsenenalter dauert, werden Gehirn-Organoide nicht selten viele Monate bis hin zu einem Jahr lang gezüchtet, um auch spätere Entwicklungsstadien zu simulieren und zu erforschen. So erreichen sie eine Grösse von einigen Millimetern mit einer immer ausgereifteren Struktur. Bei anderen Organen in unserem Körper, wie zum Beispiel dem Herzen, verläuft die Entwicklung viel schneller, sodass im Labor gezüchtete Herz-Organoide bereits nach wenigen Tagen anfangen zu pulsieren und herzähnliche Funktionen aufweisen.

Da diese Mini-Organe in vitro, also ausserhalb eines Organismus, gezüchtet werden und somit kein eigenes Immunsystem haben, ist es ausserordentlich wichtig, dass sehr sauber und keimfrei gearbeitet wird. Würden Bakterien, Pilze oder andere Keime die Organoid-Kultur aufgrund von unsauberem Arbeiten infizieren, würden die Zellen und somit das über Wochen und Monate herangereifte Organoid sterben.

Welche Organoide gibt es?

Neben den erwähnten Gehirn- und Herz-Organoiden lassen sich zu nahezu jedem weiteren Organ in unserem Körper Mini-Organe züchten. Verschiedene Signalmoleküle im Nährmedium erlauben es, Stammzellen in Magen-, Darm-, Nieren-, Leber-, Augen-, Brust-, Ohr- oder Gefäss-Organoide differenzieren zu lassen. Dabei unterscheiden sich die verschiedenen Organoid-Modelle in ihrer Komplexität und Ähnlichkeit mit dem echten Organ. Forscherinnen und Forscher arbeiten daran, die verschiedenen Modelle so ähnlich wie möglich dem jeweiligen echten Organ zu züchten, sodass zukünftig Mini-Organe anstelle von echten Organen genutzt werden können, um Krankheiten oder Medikamente zu erforschen.

Quelle: Marion Horrer und Redaktion SimplyScience.ch

Erstellt: 19.07.2022
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