Angefangen hat alles mit einer Bergtour: Carlo Centonze und Murray Height wanderten 2004 mit sechs Freunden fünf Tage lang quer durch die Berge Graubündens. Um Gewicht zu sparen, hatten sie nur wenig Ersatzkleider dabei. «Irgendwann haben wir grauenhaft gestunken», erinnert sich Centonze, der heutige CEO von «HeiQ Materials». Noch während dem Laufen schmiedete er zusammen mit Height, einem Materialwissenschaftler, eine neue Geschäftsidee: Sie könnten Silber nutzen, um Bakterien in den Kleidern abzutöten, die zum unangenehmen Schweissgeruch führen. Schliesslich ist Silber seit Jahrhunderten für seine antibakterielle Wirkung bekannt (siehe Kasten).
Silber gegen Bakterien
Die antimikrobielle Wirkung von Silber ist seit rund 3000 Jahren bekannt. Die Römer warfen Silbermünzen in ihr Trinkwasser, um dieses frisch zu halten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzten Ärzte Silber zur Behandlung von Brandwunden und zur Desinfektion ein. Auch Neugeborenen wurden Silbernitrat-Lösungen gegen Infektionen in die Augen geträufelt. Doch nicht das Edelmetall an sich ist antimikrobiell, sondern dessen Ionen. Positiv geladene Silberionen zerstören nämlich die Enzyme, welche die Nährstoffe in die Zelle transportieren und stören die Zellteilung und -vermehrung. Heute werden auch medizinische Komponenten mit mikro- und nanostrukturiertem Silber beschichtet, damit Keime bei Operationen in offenen Wunden nicht überleben können.
Steckbrief Silber
- Elementsymbol Ag
- Ordnungszahl 47
- Dichte 10.5 g/cm3
- Schmelzpunkt 961,8 °C
Das weissglänzende, gut verformbare Edelmetall kommt in der Erdkruste vor, rund 20 mal häufiger als Gold. Die wichtigsten Fördernationen sind Peru, Mexiko und China. Silber besitzt die höchste elektrische Leitfähigkeit aller Elemente und die höchste thermische Leitfähigkeit aller Metalle. Noch mehr über Silber erfährst du in unserem Artikel über Silber.
Schutz über gesamte Lebensdauer
Nach der Tour stiegen die beiden Freunde ins Labor und entwickelten eine Silberlösung, mit der sie das Garn direkt beim Spinnen oder in verarbeiteter Form nachträglich behandeln. Centonze und Height waren zwar nicht die ersten, die Silber gegen Bakterien in Kleidern einsetzten, doch hatte ihre Methode einen bedeutenden Vorteil: Während die herkömmlich eingesetzten Silberpartikel nach 20 Waschgängen meist weg waren, brachte es ihr Schutz mit vergleichsweise wenig Silber auf über 100 Waschgänge. «Das entspricht der gesamten Lebensdauer eines hochqualitativen Kleidungsstücks», sagt Centonze. Für den dauerhaften Schutz hat das Unternehmen ein spezielles Beschichtungsverfahren entwickelt. Dabei wird jedes einzelne Filament eines Garnfadens mit der Silberlösung ummantelt. Ein einziger Faden setzt sich aus bis zu hundert solcher Filamente zusammen.
In den Labors des Unternehmens entwickeln heute sechs Forscher ständig neue Chemikalien zur Veredelung von Textilien. Darunter eine mikrostrukturierte, wasserabweisende Textilbehandlung. Diese hält laut Centonze Wasser dermassen gut fern, dass das Innere einer Jacke auch nach stundenlangem Regen trocken bleibt. Vor wenigen Wochen hat das Team zudem ein neues, «hydrofunktionelles » Polymer präsentiert. Dieses nimmt die Feuchtigkeit des Körperschweisses auf, ohne dass das Textil dabei nass wird. Das eingelagerte Wasser wirkt bei Kälte isolierend; bei Wärme verdunstet es und kühlt dadurch den Körper des Trägers ab.
Stoff gegen ölverseuchte Küsten
Künstliche Textilbehandlungen werden aber nicht nur gegen Körpergeruch und Nässe eingesetzt, sondern auch für den Küstenschutz. Als Reaktion auf die Ölkatastrophe am Golf von Mexiko, wo ab April 2010 mehrere hunderttausend Tonnen Erdöl ins Meer strömten, entwickelten Centonze und sein Team mit zwei Partnerfirmen ein speziell behandeltes, hydrophobes Vlies. Dieses stösst Wasser ab und lagert Öl in seine Struktur ein. Dies geschieht, indem das Öl bei Kontakt mit dem Vlies geliert. Laut Centonze nimmt das Material das Sechsfache des Eigengewichts an Öl auf. An den Küsten des Golf von Mexiko wurde das Vlies zum Schutz vor dem ölverschmutzten Meerwasser erstmals erfolgreich eingesetzt. Nachdem sich die Stoffbahnen mit Öl vollgesogen hatten, wurden sie in einer nahegelegenen Zementfabrik verbrannt. Damit konnte das absorbierte Öl als Energielieferant für die Industrie genutzt werden. Das Beispiel zeigt: Funktionelle Textilien können weit mehr, als unseren Körper trocken und warm halten. Im besten Fall helfen sie sogar eine Ölkatastrophe einzudämmen.
Text: SATW / Samuel Schläfli
Quelle: Technoscope 2/11: Funktionelle Textilien
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