Jedes Jahr werden in der Schweiz mehrere hundert Menschen von einer Lawine erfasst, durchschnittlich 23 überleben dies nicht. Praktisch alle Verunglückten sind auf einer Skitour unterwegs oder wurden beim Variantenfahren von einer Schneebrettlawine erfasst. Lawinen sind also nach wie vor eine der wichtigsten Naturgefahren im Alpenraum.
Schwachstellen in der Schneedecke
Man hat heute ein recht genaues Bild, wie Lawinen ausgelöst werden. Im Laufe des Winters baut sich die Schneedecke schichtweise auf. Mit jedem Schneefall entsteht eine neue Schicht, die sich mit der Zeit umwandelt. An der Oberfläche kann sich Reif ablagern und die Sonneneinstrahlung und der Wind verändern die Struktur des Schnees. Diese Veränderungen können dazu führen, dass die nächste neue Schneelage nur noch einen schwachen Halt findet. Innerhalb der Schneedecke entsteht so eine gefährliche Schwachstelle. Ist die Überlast der neuen Schneelage zu gross oder wird die Schneedecke beispielsweise durch einen Skifahrer belastet, bricht die Schneedecke entlang dieser Schwachstelle. Es entsteht ein Schneebrett.
Heute ist es möglich, anhand der allgemeinen Wetterlage die Lawinengefahr für eine Region vorauszusagen. Das WSL-Institut für Schneeund Lawinenforschung SLF informiert denn auch zweimal täglich mit Lawinenbulletins. Allerdings: Wann und wo genau in einem bestimmten Gebiet eine Lawine niedergehen wird, lässt sich heute noch nicht voraussagen, denn die Schneedecke ist auf kleinem Raum sehr unterschiedlich aufgebaut.
Unregelmässige Verteilung des Schnees
Die Forschenden am SLF versuchen deshalb, die Entstehung und Ausbreitung von Lawinen noch besser zu verstehen. «Es gibt noch viele offene Fragen», erklärt Lawinenspezialist Jürg Schweizer, Leiter des SLF. «Wir können beispielsweise die Schneestrukturen mit Hilfe von bildgebenden Verfahren sehr präzise untersuchen. Doch wie stabil diese Strukturen sind, wissen wir damit noch lange nicht – und genau das wäre wichtig, um eine mögliche Bruchstelle zu erkennen.»
Die grösste Herausforderung für die Prognose ist jedoch, dass die Schneeverteilung im Gelände sehr variabel ist. «Eigentlich bräuchten wir ein detailliertes dreidimensionales Modell der Schneedecke», meint Schweizer. «Doch das ist aktuell bestenfalls für ein kleines Gebiet möglich.» An diesem Problem werden vorerst auch die neuen hochpräzisen Wettermodelle von MeteoSchweiz nicht viel ändern. Diese können zwar die Schneefälle mit einer Auflösung von einem Kilometer voraussagen. Doch für eine genaue Lawinenprognose müsste man den Aufbau der Schneedecke auf einige zehn Meter genau kennen.