Körper & Gesundheit

Die Beziehung zwischen Darm und Gehirn

Verdauungstrakt und Gehirn des Menschen

Darm und Gehirn tauschen mehr Informationen aus, als lange angenommen wurde. Bild: CanStockPhoto

Unser Verdauungstrakt enthält rund 500 Millionen Nervenzellen – so viele wie das Gehirn eines ausgewachsenen Labradors! Tragen wir also eine Form von Intelligenz in unserem Unterleib? Die aktuelle Forschung zeigt, dass unser Darm in ständiger Verbindung mit unserem Gehirn steht und sich die beiden Organe gegenseitig beeinflussen.

Das enterische Nervensystem (ENS) ist ein Netz von Nervenzellen oder Neuronen, das den Verdauungstrakt in seiner ganzen Länge umspannt. Aus funktioneller Sicht ähnelt das ENS stark unserem Gehirn. Sie teilen denselben embryonalen Ursprung, nutzen dieselben neuronalen Netzwerke und kommunizieren über dieselben Neurotransmitter. Trotz dieser Ähnlichkeiten funktioniert das ENS autonom und unabhängig. Es reguliert die Verdauung, indem es die verschiedenen Teile des Verdauungstrakts steuert: die Speiseröhre, den Magen, den Dünndarm und den Dickdarm. Das ENS ist quasi Wächter unserer Darmpassage. Sein neuronales Netzwerk löst Darmkontraktionen aus, welche die Nahrung in den Verdauungstrakt befördern, die sogenannte Peristaltik. Neben der Verdauung reguliert das ENS auch Absorption und Sekretion und kontrolliert die Immunabwehr im Darm.

Das „Darmhirn“

Wegen seiner Autonomie, und weil der Informationsfluss so wichtig ist, den es mit dem Gehirn unterhält, hat man dem ENS auch die Bezeichnung „zweites Gehirn“ gegeben. Aus evolutionärer Sicht wäre es allerdings gerechtfertigter, das ENS als das eigentliche Gehirn zu bezeichnen. Denn geht man in der Zeit zurück, stellt man fest, dass primitive vielzellige Organismen ohne Gehirn, wie Süsswasserpolypen, bereits einen Verdauungstrakt mit einem autonomen ENS besitzen. Er erlaubt es ihnen, zu verdauen, sich zu bewegen und sich zu fortzupflanzen. Auf der Evolutionsskala ist der Darm also das ursprünglichste mit Nerven ausgestattete Organ. Im Verlauf der Evolution entwickelten Organismen dann komplexere sensorische Systeme wie den Seh-, Gehör- oder Geruchssinn, mit denen sie ihre Nahrung aktiver suchen konnten. Die Entwicklung bis hin zu den Wirbeltieren führte schliesslich zur Entstehung des Gehirns und zur Aufgabenteilung zwischen Gehirn und Darm.

Bakterien auf Schleimhaut

Die Darmflora – Milliarden von Zellen, die das Innere unseres Darms bewohnen. Bild: CanStockPhoto

Der Zusammenhang zwischen Darmflora und Gehirn

Das ENS kommuniziert über den Vagusnerv ständig mit dem Gehirn. Die vom Gehirn in Richtung Darm ausgesendeten Signale sind manchmal sogar spürbar. Man weiss zum Beispiel, dass unsere Emotionen regelmässig unseren Bauch beeinflussen. Dies passiert beispielsweise in stressigen Situationen, die uns wortwörtlich Bauchschmerzen bereiten. Weniger bekannt ist, dass der Darm, genauer gesagt die Darmflora, ebenfalls Informationen zum Gehirn sendet. Zur Darmflora gehören alle Mikroorganismen, die in unserem Darm leben. Dies sind rund 100ʼ000 Milliarden Bakterien mit einem Gewicht von gut 1.5 kg – das sind fast zehnmal mehr Zellen als unser Körper menschliche Zellen hat! Die meisten dieser Bakterien sind harmlos und sogar notwendig, damit unser Körper richtig funktioniert. Sie helfen bei der Verdauung und bei der Synthese gewisser Vitamine. Mehrere Studien konnten die zentrale Rolle der Darmflora für die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn belegen. Ein Experiment zeigte, dass nicht-depressive Mäuse Depressionssymptome entwickelten, wenn ihnen Darmbakterien von depressiven Patienten transplantiert wurden. Dies beweist, dass Darmbakterien die Hirnchemie beeinflussen können.

Ein Fenster zum Gehirn

Bestimmte neurodegenerative Krankheiten werden mit Darmbeschwerden in Verbindung gebracht. Bei der Parkinsonkrankheit zeigen sich parallel zu den Schädigungen im Gehirn auch Veränderungen im ENS. Diese Entdeckung könnte es ermöglichen, Parkinson künftig durch eine einfache Stuhlprobe zu entdecken und damit weniger geeignete Testverfahren zu umgehen.

Dieses Verfahren könnte die Patientenbetreuung erheblich verbessern, da die Veränderungen im Darm einige Zeit vor den klinisch relevanten Symptomen im Gehirn auftreten. Das ENS ist in diesem Fall also geradezu ein „offenes Fenster“, durch das man gewisse Funktionsstörungen im Gehirn erkennen kann.

Eine noblere Aufgabe als angenommen

Mit der Entdeckung der engen Beziehung zwischen Gehirn und Darm revidierte sich auch das Bild dieses Organes – man kann durchaus sagen, dass der Darm in seinem Ansehen gestiegen ist. Als Kommunikationszentrum besitzt er sein eigenes Nervensystem und beherbergt eine Darmflora, die ein vollwertiges Organ bildet. Statt nur Verdauungsmaschine oder einfaches Abflussrohr ist der Darm vielmehr ein komplexes und ausgefeiltes Organ und Spiegelbild unseres Gehirns.

Beeinflusst die Darmflora wirklich unser Verhalten? Dies erforschte eine Studie bei zwei Mäusestämmen, die sich in ihrem Verhalten grundsätzlich unterscheiden: ein „ängstlicher“ Mäusestamm mit vorsichtigem Verhalten und ein „nicht-ängstlicher“ Mäusestamm mit waghalsigeren Verhaltensweisen. Nach dem Austauschen ihrer Darmflora wurden die „nicht-ängstlichen“ Mäuse ängstlich und umgekehrt!

Erstellt: 27.11.2017
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