Technik & Materialien

Bionik in der Medizin

Operationssaal

Auch im Operationssaal profitieren Patienten und Ärzte von innovativen medizinischen Geräten. Dank Holzwespe, Frosch und Qualle. Bild: CanStockPhoto

Die Medizin hat in den vergangenen Jahrzehnten erstaunliche Fortschritte gemacht. Eine grosse Rolle spielt dabei unter anderem die Entwicklung von medizinischen Geräten. Dabei wird nicht selten bei der Natur abgeschaut.

Ob das Hochlaufen an senkrechten Wänden oder das Bohren von eckigen Löchern: In der Tierwelt finden sich Fähigkeiten, von denen wir Menschen nur träumen können. Um sie ideal an ihren Lebensraum anzupassen, hat die Natur verschiedenste Lebewesen mit erstaunlichen Eigenschaften ausgestattet. Obwohl wir uns diese Eigenschaften kaum selbst aneignen können, gibt es einen Weg, sie uns doch zunutze zu machen – indem wir Geräte entwickeln, deren Funktionsweise bei den Tieren abgeschaut wurde. Damit erweisen die Erfindungen der Natur nicht selten auch der Medizin einen grossen Dienst.

Grosse Erfindungen dank kleiner Tiere

Laubfrosch auf Blatt

Die Mikrostruktur an den Füssen des Laubfrosches gibt ihm auch auf glatten und glitschigen Oberflächen Halt. Bild: CanStockPhoto

So war beispielsweise ein Laubfrosch Inspiration für einen Mini-Roboter, der Bilder aus dem Inneren eines Patienten in Echtzeit nach draussen sendet. Damit er an der nassen und rutschigen Bauchhöhlenwand nicht den Halt verliert, wurden die Füsse des Roboters jenen des Laubfrosches nachgebaut: sechseckige Kanäle an den Füssen bilden beim Kontakt mit nassen Oberflächen kapillare Brücken und haften so auch an rutschigen Wänden, ähnlich wie ein Bierdeckel am Glas kleben bleibt. Die Eigenschaft, an glitschigen Oberflächen haften zu können, haben auch verschiedene Muscheln und Meeresschnecken. Sie tun dies allerdings mithilfe eines Sekrets, das Forscher prompt als Vorlage für die Entwicklung eines Gewebeklebers nutzten.

Hornwespe mit Legestachel

Der schwarze Legestachel der Holzwespe besteht aus mehreren Raspeln, die sich unabhängig voneinander bewegen können. Bild: David/Flickr, CC-Lizenz

Ein weiteres Beispiel für Bionik in der Medizin ist die Entwicklung eines neuartigen Bohrers nach dem Vorbild des Legestachels der Holzwespe. Die Holzwespe bohrt mit ihrem Legestachel Löcher in Holz, um ihre Eier darin abzulegen. Für das Einsetzen eines künstlichen Hüftgelenks muss bislang meist manuell ein Loch mit rechteckigem Querschnitt gebohrt werden. Der neuartige Bohrer arbeitet nach einem ungewöhnlichen Prinzip und könnte diese Arbeit bald bedeutsam erleichtern: Wie der Stachel der Holzwespe besteht er aus mehreren Raspeln, die sich unabhängig voneinander bewegen können. Beim Bohren bewegen sie sich im Wechselspiel vor und zurück. Diese Technik bietet gegenüber der herkömmlichen Methode den bedeutenden Vorteil, nicht auf runde Löcher beschränkt zu sein. Mit einem nicht rotierenden Bohrer lassen sich auch mehreckige Löcher erzeugen. Da sich jeweils eine Raspel im Loch verhakt, während sich eine andere bewegt, ist kaum Kraftaufwand nötig, um den Bohrer anzudrücken. Dies dürfte ihn nicht nur für den Operationssaal, sondern auch für Einsätze unter Wasser oder im Weltall interessant machen, wo es schwierig ist, eine grosse Gegenkraft aufzubringen.

Bionische Lösungen im Kampf gegen Krebs

Kompassqualle

Mit den langen Tentakeln fischen sich Quallen ihre Beute aus dem Wasser. Bild: CanStockPhoto

Auch Krebsforscher greifen vermehrt auf Lösungen aus der Natur zurück. Bei der sogenannten Metastase verbreitet sich die Krebserkrankung, indem sich Krebszellen vom ursprünglichen Krebsgewebe ablösen, im Blutstrom des Patienten zirkulieren und sich an weiteren Organen ansiedeln. Pflückt man diese Zellen heraus, hat man einen direkten Indikator dafür, wie der Krebs aussieht, und kann auf dieser Basis nach den wirksamsten Medikamenten suchen. Das Sammeln dieser Krebszellen ist jedoch sehr aufwändig, da sie nur einen Bruchteil aller Zellen im Blutstrom ausmachen. Von den Tentakeln einer Qualle inspiriert, entwarf ein Forschungsteam einen Chip, auf dem sich lange, tentakelartige DNA-Stränge befinden. Diese binden ein Protein, das sich auf den im Blut zirkulierenden Krebszellen befindet. Das Gerät fischt so um ein Vielfaches mehr Zellen aus dem Blut heraus, als dies bisherige Chips können.

Milz im menschlichen Körper

Die Position der Milz im menschlichen Körper (hier blau eingefärbt). Bild: CanStockPhoto
 

Doch nicht nur Tiere, sondern auch der menschliche Körper kann als Inspiration für technischen Fortschritt dienen. Um bei Patienten mit einer Blutvergiftung Krankheitserreger aus dem infizierten Blut zu fischen, entwickelten Forscher eine künstliche Milz. Die Milz ist in unserem Körper unter anderem dafür verantwortlich, überalterte oder geschädigte Blutkörperchen sowie Krankheitserreger auszusondern. Für die Entwicklung eines Blutreinigungssystems konstruierten die Forscher eine Kammer, die an die Mikroarchitektur der Milz angelehnt ist. Wie bei einer Dialyse (Blutwäsche) soll das Blut des Patienten aus dem Körper gepumpt, gereinigt und dem Körper zurückgeführt werden. Das Blut wird aber mit winzigen magnetischen Kügelchen gemischt, deren Oberfläche mit einem speziellen Protein bedeckt ist, das Krankheitserreger bindet. Während das Blut durch die Kammer fliesst, fischt ein Magnet die Kügelchen mitsamt den gebundenen Krankheitserregern aus dem Blut, wobei die Blutkörperchen ungehindert weiterfliessen. Mit den passenden Rezeptoren bedeckt, könnten die Kügelchen theoretisch unterschiedlichste Zelltypen aus dem Blut filtern – auch Krebszellen.

Dies sind nur einige Beispiele, wie biologische Vorbilder die Medizin bei der Suche nach neuen Behandlungsmöglichkeiten inspiriert haben. Sicher ist, dass die Natur einiges an Lösungen bereithält, wo die Menschheit noch an ihre Grenzen stösst – man muss sie nur entdecken.

Erstellt: 16.09.2015
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