Das enterische Nervensystem (ENS) ist ein Netz von Nervenzellen oder Neuronen, das den Verdauungstrakt in seiner ganzen Länge umspannt. Aus funktioneller Sicht ähnelt das ENS stark unserem Gehirn. Sie teilen denselben embryonalen Ursprung, nutzen dieselben neuronalen Netzwerke und kommunizieren über dieselben Neurotransmitter. Trotz dieser Ähnlichkeiten funktioniert das ENS autonom und unabhängig. Es reguliert die Verdauung, indem es die verschiedenen Teile des Verdauungstrakts steuert: die Speiseröhre, den Magen, den Dünndarm und den Dickdarm. Das ENS ist quasi Wächter unserer Darmpassage. Sein neuronales Netzwerk löst Darmkontraktionen aus, welche die Nahrung in den Verdauungstrakt befördern, die sogenannte Peristaltik. Neben der Verdauung reguliert das ENS auch Absorption und Sekretion und kontrolliert die Immunabwehr im Darm.
Das „Darmhirn“
Wegen seiner Autonomie, und weil der Informationsfluss so wichtig ist, den es mit dem Gehirn unterhält, hat man dem ENS auch die Bezeichnung „zweites Gehirn“ gegeben. Aus evolutionärer Sicht wäre es allerdings gerechtfertigter, das ENS als das eigentliche Gehirn zu bezeichnen. Denn geht man in der Zeit zurück, stellt man fest, dass primitive vielzellige Organismen ohne Gehirn, wie Süsswasserpolypen, bereits einen Verdauungstrakt mit einem autonomen ENS besitzen. Er erlaubt es ihnen, zu verdauen, sich zu bewegen und sich zu fortzupflanzen. Auf der Evolutionsskala ist der Darm also das ursprünglichste mit Nerven ausgestattete Organ. Im Verlauf der Evolution entwickelten Organismen dann komplexere sensorische Systeme wie den Seh-, Gehör- oder Geruchssinn, mit denen sie ihre Nahrung aktiver suchen konnten. Die Entwicklung bis hin zu den Wirbeltieren führte schliesslich zur Entstehung des Gehirns und zur Aufgabenteilung zwischen Gehirn und Darm.