Tiere & Pflanzen

Survival of the Fittest: ein oft missverstandenes Konzept

Cartoon einer Maus, die eine Mausefalle als Hantelbank nutzt

Die Mausefalle als Hantelbank: Dieser Cartoon-Maus geht es um Muskelkraft. Doch dadurch wird sie nicht unbedingt "fit" im Sinn der Evolution. Bild: CanStockPhoto

„Nur der Stärkste überlebt“: So, wie diese Aussage heute manchmal zitiert wird, war sie von Charles Darwin und seinen Forscherkolleginnen und -kollegen nicht gemeint. Seine Erkenntnisse über die Evolution waren sehr komplex. Nicht alle sollten wir vereinfachen oder auf menschliche Gesellschaften übertragen.

Eine wichtige Grundlage der Wissenschaft ist Präzision. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler möchten ihre Beobachtungen möglichst genau beschreiben, damit auch kleine, aber signifikante Unterschiede bemerkt werden. So wird neues Wissen geschaffen, auch wenn dieses oft sehr komplex ist und auf den ersten Blick nicht besonders bahnbrechend wirkt. Es braucht darum Kommunikation, also eine Übersetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in eine Sprache, die alle verstehen: Klare, prägnante Aussagen, welche die Resultate verständlich machen.

Schwarz-Weiss-Fotografie von Charles Darwin mit knapp 50 Jahren

Charles Darwin auf einem Foto aus den 1850er-Jahren. Bild: Wikimedia Commons

Dabei geht aber oft die Präzision verloren. In vielen Fällen ist dies kein Problem. Wenn die grundlegende Aussage korrekt ist, spielt es keine Rolle, wenn sie zum besseren Verständnis vereinfacht wird. Doch manchmal führt eine solche Sprache zum Fehlverständnis der Forschung, was besonders problematisch ist, wenn dies einen Einfluss auf die Gesellschaft hat. Eine solche Fehlinterpretation ist die im Zusammenhang mit Charles Darwins Arbeit geprägte Aussage, dass in der Natur nur der Stärkste überlebt („Survival of the Fittest“).

Fit trotz fehlender Körperkraft

Tatsächlich bezieht sich diese Aussage meist nicht auf Stärke im Sinn von Muskelkraft. Der Begriff „Fitness“ wird in der Wissenschaft anders verwendet als in der Alltagssprache. Als „fit“ bezeichnet man in diesem Zusammenhang nicht körperlich starke oder muskulöse Individuen, sondern solche, die an die gegebenen Umstände sehr gut angepasst sind. In der Vererbungslehre gilt ein Individuum als umso fitter – oder besser angepasst – je mehr überlebensfähige Nachkommen es produziert. Dadurch wird die genetische Grundlage für die hohe Fitness an die Nachkommen weitergegeben. Das bedeutet also zum Beispiel, dass ein körperlich schwacher Hase mit einer tarnenden Fellfarbe fitter sein kann als ein auffälliger, starker Hase. Denn der getarnte Hase überlebt mit grosser Wahrscheinlichkeit länger und produziert in dieser Zeit mehr Nachkommen. Im direkten Konflikt, etwa bei einem Kampf zwischen zwei Männchen, würde allerdings das getarnte, schwächere Individuum verlieren.

Historische schwarz-weiss-Illustration der Köpfe und Schnäbel von vier Darwinfinken

Vier Beispiele von Darwin-Finken, deren Unterschiede der Naturforscher auf den Galapagos-Inseln untersuchte. Bild: Wikimedia Commons

Darwins Evolutionstheorie basiert stark auf dem Prinzip von Fitness und Anpassung. Auf seiner Forschungsreise mit der HMS Beagle 1831–1836 konnte Darwin Finken mit verschiedenen Schnabelformen und -grössen beobachten. Die Finken leben ohne Konflikt im gleichen Lebensraum, da sie dank den unterschiedlichen Schnäbeln verschiedene Nahrungsquellen erschliessen. Diese Anpassungen entstanden durch einen Mechanismus der Evolution, der mehr als 60 Jahre später einen eigenen Namen bekam („adaptive Radiation“): Verschiedene Nischen im Lebensraum wurden jeweils von wenigen Individuen besiedelt, deren Nachkommen sich dann immer besser an die unterschiedlichen Nahrungstypen anpassten. Auch die sogenannten Darwinfinken stammen alle vom gleichen Vorfahren ab und entwickelten langsam und graduell verschiedene Anpassungen. Ein ähnliches Beispiel ist aus dem Victoriasee in Zentralafrika bekannt, wo sich Buntbarsche ebenfalls in relativ kurzer Zeit aus einem gemeinsamen Vorfahren in verschiedene neue Arten entwickelt haben, die perfekt an die verschiedenen Nischen im See angepasst sind.

Dampfender blauer Teich mit gelb-orangem Ufer.

In den heissen Quellen des Yellowstone Nationalpark herrschen extreme Bedingungen – doch auch diese Nische wird von spezifisch angepassten Lebewesen bewohnt. Bild: Frank Kowalchek/Wikimedia Commons, CC BY 2.0

Fitness kann sich auch darauf beziehen, dass es eine Art schafft, sich an extreme Nischen anzupassen: etwa die Bakterien im Yellowstone Nationalpark, die in heissen Quellen mit Temperaturen von über 70°C leben. Diese Bakterien haben sich eine Nische erschlossen, die als besonders lebensfeindlich gilt.

Die Evolution ist nicht abgeschlossen

Arten passen sich ständig an Umweltveränderungen an oder erschliessen neue Nischen. Im Alltag ist der langsame Prozess der Evolution allerdings schwierig zu beobachten. Ein interessantes Beispiel ist die Anpassung von Fruchtfliegen, die von Afrika nach Europa und dann nach Amerika eingeschleppt wurden. Diese winzigen Fliegen haben es geschafft, sich an ein kälteres Klima und einen kürzeren Sommer anzupassen.

Ein anderes Ergebnis von Evolution ist „Mutualismus“ als Strategie, direkte Konflikte zwischen Arten zu umgehen: Dabei gehen zwei Arten eine Interaktion ein, die für beide positiv ist. Dies ist etwa der Fall bei Mykorrhiza, einer Form des Zusammenlebens von Pflanze und Pilz, bei der die Pflanze Kohlenhydrate und Schutz bietet und der Pilz Wasser und Nähstoffe aus der Erde liefert.

Solche Anpassungen benötigen Zeit. Evolution ist aber nicht nur langsam (oft sehr langsam), sondern manchmal auch unvollständig. Individuen können durch puren Zufall länger überleben und Nachkommen hervorbringen, obwohl sie nicht gut angepasst sind. Dies wird in der Wissenschaft als „Genetische Drift“ bezeichnet – und kommt gar nicht so selten vor. Denn Evolution ist nicht zielgerichtet, sondern die Summe vieler kleiner Veränderungen, die einzelnen Lebewesen zu mehr oder weniger Fortpflanzungserfolg verholfen haben.

Evolutionäre Fitness, Moral und menschliche Kultur: kein einfaches Verhältnis

Die Sprache, mit der wir Evolution beschreiben, beinhaltet viele Begriffe, die wir eigentlich auf Menschen beziehen: Kampf, Konflikt, Aggression oder Stärke. Das ist problematisch, da solche Begriffe stark von ethischen Überlegungen eingefärbt sind. Die Natur – Pflanzen, Tiere, Pilze, Bakterien oder Viren – kennt aber keine Moral. Es wäre schlichtweg falsch, bei einem Raubtier Moral vorauszusetzen, wenn es Jagd auf Beute macht.

Umgekehrt können Prinzipien aus der Natur aber auch nur bedingt auf Menschen übertragen werden. Denn Menschen kennen Moral, und der Ausschluss von Individuen mit einer anderen Hautfarbe, einem anderen Geschlecht, einer Behinderung oder schwach ausgebildeten Muskeln ist moralisch falsch.

Eine gefährliche Strömung, die vor dem zweiten Weltkrieg aufkam, war der Sozialdarwinismus, der die von Darwin aufgestellten Ideen auf menschliche Gesellschaften übertragen wollte. Dies führte dazu, dass bestimmte Menschengruppen plötzlich als „nicht lebenswert“ empfunden wurden. Viele Länder wollten dieses Problem damit lösen, dass „nicht lebenswerte“ Menschen keine Kinder haben sollten. In den USA etwa wurden schwarze und indigene Frauen zwangsweise sterilisiert. Das Dritte Reich in Deutschland trieb den Sozialdarwinismus mit Konzentrationslagern und Gaskammern auf eine abscheuliche Art auf die Spitze.

Quelle: Ursula Oggenfuss und Redaktion SimplyScience.ch

Erstellt: 02.10.2023
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