Wasser gehört zu den Existenzgrundlagen der menschlichen Zivilisation. Doch diese Ressource ist begrenzt: Nach wie vor haben Milliarden von Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Erfindungen der Natur könnten zur Lösung dieser Ressourcenknappheit beitragen. Denn auch in Wüstengebieten, wo Wasser ein rares Gut ist, gibt es Tiere, die trotz des lebensfeindlichen Klimas überleben – dank erstaunlichen Tricks. Forscher versuchen diese biologischen Abläufe nachzuvollziehen und in technische Prozesse umzuwandeln. Dieses Vorgehen bzw. die entsprechende Wissenschaftsdisziplin nennt man Bionik.
Wasser sammeln wie im Tierreich
Ein Beispiel für innovative Wassergewinnung liefert der sogenannte Nebeltrinker-Käfer. Er lebt in der Namib-Wüste Afrikas und überlebt die extreme Trockenheit, weil er über seinen Rücken Wasser aus der Luft aufnehmen kann. Seine Deckflügel haben dazu kleine Noppen und eine Rinne in der Mitte. Morgens streckt der Käfer sein Hinterteil gegen den Wind in die Luft und lässt den in die Wüste ziehenden Nebel an sich kondensieren. In kleinen Tropfen fliesst das Wasser die Rinne entlang hinunter bis zum Mund. Dieses Prinzip wurde vom Menschen übernommen. Grosse, in der Wüste aufgestellte Netze fangen den Nebel ein und geben ihn in Form von Trinkwasser weiter, zum Beispiel in der Atacama-Wüste, einer der trockensten Regionen der Welt.
Einer ähnlichen Technik wie der des Nebeltrinker-Käfers bedienen sich texanische Krötenechsen und australische Dornteufel. Auch sie sammeln Wasser aus der Umgebung über ihre Körperoberfläche. Jedoch verfügen sie über eine Schuppenstruktur, dank der ihre gesamte Haut mit Feuchtigkeit benetzt wird. Über feine Kapillaren an der Oberfläche gelangt das Wasser dann zum Maul der Tiere. Forscher möchten diese Hautstruktur auf technische Bauteile übertragen, um deren Benetzung mit Schmierstoffen zu verbessern und so ihren Verschleiss zu verringern.
Künstliches Mottenauge erzeugt Energie
Manchmal schauen sich Forscher aber auch Techniken bei der Natur ab, die sie dann für einen anderen Zweck weiterverwenden, als Mutter Natur vorgesehen hatte. So geschehen etwa beim Mottenauge: Dieses muss viel Licht einfangen und darf so wenig wie möglich reflektieren, damit der Falter nicht entdeckt und gefressen wird. Deshalb ist die Mikrostruktur des Mottenauges genau an die Wellenlängen des sichtbaren Lichts angepasst: Es absorbiert so gut wie alles und wirft kaum Licht zurück. Forscher der EMPA haben sich diese Struktur ebenfalls zunutze gemacht – allerdings nicht, um optische Systeme zu optimieren, sondern zur Energiegewinnung aus der Sonne. In herkömmlichen Solarzellen wird Licht zu Elektrizität umgewandelt. Hingegen konnten die EMPA-Forscher dank der Mottenaugenstruktur eine Solarzelle entwickeln, bei der Licht über die Spaltung von Wasser direkt den wertvollen Brennstoff Wasserstoff erzeugt, und zwar mithilfe von Rost. Rost absorbiert genau in dem Wellenlängenbereich, in dem die Sonne am meisten Licht aussendet. Ausserdem lassen sich aus Rost Fotoelektroden herstellen, die Wasser spalten und so Wasserstoff erzeugen. Jedoch hat das Eisenoxid einen Nachteil: Es leitet elektrischen Strom sehr schlecht. Er muss daher zu sehr dünnen Filmen verarbeitet werden, damit die Wasserspaltung funktioniert. Doch diese dünnen Filme absorbieren wiederum zu wenig Sonnenlicht. Um dieses Problem zu umgehen, wurde die Mikrostruktur der Fotoelektroden dem Mottenauge nachgebildet. Genau wie dieses fängt sie das Licht ein und lässt es nicht mehr heraus, bis es komplett absorbiert ist. So steht die gesamte Energie für die Spaltung von Wasser bereit.
Quellen: EMPA, Fraunhofer Institut
Quelle: Redaktion SimplyScience.ch